Die Gerechtigkeitswiederholung

Einige Gedanken zum häuslichen Musizieren – von Michael Knoch

Wir machen Musik, und zwar selbst – nämlich Kammermusik! Ob zu zweit, als Quartett oder gar im Nonett: Kammermusici verabreden sich dort, wo es eine tolerante Nachbarschaft gibt, bauen ihre Notenständer auf, legen die Noten auf, stimmen und – los geht’s. Jetzt gilt: "Auf Wiedersehen bei der Fermate".* Ja, so kann man's angehen. Auf dem Weg bis zur Fermate lauern aber Widrigkeiten und Fallstricke. Diese zu kennen und zu vermeiden, ist das Anliegen dieser Zeilen. Sie geben Beobachtungen und Anmerkungen rund ums Kammermusizieren wider – zusammengestellt in langjähriger lustvoller und meistens wirklich beglückender Musizier-Praxis – sozusagen: Tipps und Tricks für gut gelingendes Selber-Musizieren.

Oder, wie ein Freund schrieb: "Eine Zusammenstellung vieler Situationen, die uns allen natürlich bekannt sind, und die immer wieder eine Portion Stoizismus erfordern, um sie zu überstehen – wenn eben nicht dran gedacht wurde, was jenseits des Musizieren alles anfällt". Eine Freundin bezeichnete sie dann allerdings als "Regelwerk" und "Verhaltenskodex", nun ja... Aber vielleicht gelingt es ja doch, auch das wiederholte Augenzwinkern wahrzunehmen?

Wie auch immer: Möge diese "Abhandlung" sich allen leidenschaftlichen Kammermusici, denen die schönste aller geselligen Freizeitgestaltungen ebenfalls Herzensanliegen ist (oder werden könnte?!), als hilfreich und nützlich erweisen.

* Unter diesem Titel »Auf Wiedersehen bei der Fermate« veröffentlichte der Rechtsanwalt und Amateur-Bratscher Franz Anton Ledermann am 9. Mai 1924 im Berliner Tageblatt einen Text "Zur Naturgeschichte des Dilettantenquartetts". Ernst Heimeran hat ihn in seinem »Stillvergnügten Streichquartett« (Leseempfehlung!) 1936 erneut abgedruckt. Er merkt an: Weil sein »Stillvergnügtes Streichquartett« diesem Text seinen "Ton" verdanke, hätte es auch »Variationen über ein Thema von Ledermann« heißen können.

 

Inhalt:

1. Vor dem Spiel

2.1. Los geht’s
2.2. Endlich geht’s wirklich los

3.1. Unterwegs
3.2. Gut zu wissen
3.3. Durchkommen

4. Zum Schluss

Literaturhinweise

 

1. Vor dem Spiel

Gewisse Vorbereitungen: Wie sitzen wir, wie stellen wir die Stühle? Handelt es sich um ein Konzert vor Publikum oder um eine intime Kammermusik ("entre nous" *). Zur Kammermusik setzen wir uns im Kreis: ich folge dabei Anordnung der Instrumente in der Partitur, also (im Uhrzeigersinn): Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott. Oder: Geige, Geige, Bratsche, Cello, Kontrabass. Anders bei gemischten Ensembles, bspw. Nonett: Geige, Bratsche, Cello, Kontrabass, Fagott, Horn, Klarinette, Oboe, Flöte – nämlich so, dass dort, wo der Kreis sich schließt, Geige und Flöte friedlich nebeneinander sitzen können. Denn die Geige wird nach links gehalten, die Flöte nach rechts, und so – rechte Geigen-Schulter neben linker Flöten-Schulter – besteht keine Gefahr, dass beide Instrumente sich ins Gehege kommen.

* franz. "unter uns"

Desgleichen beim Quartett mit Flöte, Fagott oder Horn – im Uhrzeigersinn: Geige, Bratsche, Cello und das Blasinstrument. Oder, allgemeiner gesagt: Man achte darauf, dass die seitlich ausladend gespielten Instrumente (Geige, Bratsche, Flöte, Horn, Fagott) so platziert werden, dass sie freund- und friedlich – ohne Kollisionsgefahr – nebeneinander sitzen können.

So vielleicht lieber nicht... (Julius Henry Quinkhard Amsterdam, 1734-1795)
So vielleicht lieber nicht... (Julius Henry Quinkhard Amsterdam, 1734-1795)

 

Für ein Konzert vor Publikum wird man, um im Bogen / Halbkreis sitzen zu können, den Kreis öffnen – beim Nonett bspw. zwischen Geige und Flöte. Beim Quartett ebenso, oder lieber zwischen Flöte und Cello? Sicherlich ist es günstig, wenn die hohen Streicher so sitzen, dass ihre Instrumente nicht zur Bühnenrückwand, sondern zum Publikum geneigt sind. Manche Celli lieben es, frontal (und nicht seitlich) zum Publikum zu sitzen und dann die anderen Instrumente rechts und links von sich zu platzieren. Wie auch immer: Probiert verschiedene Sitzordnungen und Positionen aus. Ein gutes Konzert gelingt eher, wenn alle Beteiligten sich wohlfühlen.

 

Die Sitzflächen der Stühle sollten fest und waagerecht sein oder dezent nach vorn geneigt. Ist die Sitzfläche dagegen nach hinten abschüssig, resultiert eine unbequeme Sitzhaltung, nämlich Rundrücken und eingequetschter Bauch oder ein ständiges Balancieren-Müssen auf der vorderen Stuhlkante. Ein Keilkissen schafft da Abhilfe!

Dieser Schemel bietet durchaus eine brauchbare, weil nach vorn geneigte Sitzfläche, aber... (Gerald Hoffnung, 1925-1959: The Violist)
Dieser Schemel bietet durchaus eine brauchbare, weil nach vorn geneigte Sitzfläche, aber... (Gerald Hoffnung, 1925-1959: The Violist)

Die Stühle sollten armlehnenfrei sein, denn Horn und Fagott müssen seitlich gehalten werden, und die rechte Hand bei Geige, Bratsche und Cello braucht Bewegungsfreiheit. Nur die seitlich gehaltene Flöte stört sich nicht an Armlehnen, schwebt sie doch gewissermaßen über den Dingen...

 

Keinesfalls sollten die Stühle bei jeder Bewegung knarren. Denn wenn jede noch so kleine Körperbewegung das Stuhlgebälk knarzen lässt, passt das leider nur selten als rhythmische Einlage zum gerade exerzierten Stück. Der Stuhl schweige in der Kammermusik!

 

Celli haben hoffentlich ihr Cello-Brettchen (auch "Stachelhalter" oder "Parkettschoner" genannt) dabei, um des Cello-Stachels Teppichramponierungspotenzial abzufedern. Notbehelf: Einen stabilen ledernen Hosengürtel um ein Stuhlbein legen und den Cellostachel in einem der Gürtellöcher platzieren.

 

Cellist ohne Cellobrett – allerdings auch ohne Teppich. Aber sehr wohl mit der Gefahr, auf dem glatten Boden wegzurutschen. Und außerdem auf einem Sessel mit Armlehnen... (Antonio Zoppi, 1860-1926)
Cellist ohne Cellobrett – allerdings auch ohne Teppich. Aber sehr wohl mit der Gefahr, auf dem glatten Boden wegzurutschen. Und außerdem auf einem Sessel mit Armlehnen... (Antonio Zoppi, 1860-1926)

 

 Vorsicht: Kontrabassstachelgummipöppel hinterlassen manchmal unschöne Abriebspuren auf dem Parkett.

Kontrabass – hier ohne Stachelpöppelabriebspurengefahr (Van Grevenbroeck, 1731-1807: Sinfonia ambulante)
Kontrabass – hier ohne Stachelpöppelabriebspurengefahr (Van Grevenbroeck, 1731-1807: Sinfonia ambulante)

 

Rohrblätter benötigen etwas Wasser zum Einweichen. Aber Wasser und Gläser sollten – um einen Erfrischungsschluck zwischendurch nehmen zu können – für alle bereitstehen.

 

Das liebe Blech freut sich über eine kleine Schale mit einem saugfähigen Lappen fürs Kondenswasser.

 

Sind ausreichend Pulte vorhanden, baue man sie bereits vor dem Eintreffen der Musici auf, am besten gleich ausgestattet mit Mappen oder Pappdeckeln, die als stabiler Notenhintergrund dienen, mit weichen (!) Bleistiften und ... Radiergummis. Luxuriöser- und dann oft auch überraschenderweise kann man natürlich auch Kolophonium, Dämpfer (notfalls Wäscheklammern) oder gar Ersatzsaiten bereithalten. Bewährt hat sich, die Pulte mit Samt-d-c-fix-Streifen zu bekleben (21 x 3 cm, 2 Stück, ein Streifen für jede Notenstandfläche) – das verhindert ein Nach-vorne-wegrutschen der Noten.

 

Wird draußen musiziert? Dann braucht's stabile (schwere) Notenpulte und Wäscheklammern, denn windig ist's im Freien irgendwann eigentlich immer, wenn nicht sogar zu windig...

 

Licht... Ist es für alle hell genug, ohne jemanden zu blenden? Und wird es auch hell genug bleiben, selbst bei einsetzender Dämmerung? Pultleuchten sind prima, aber nicht alle taugen etwas, denn die einen sind insgesamt zu funzelig, bei anderen ist der Lichtkegel so eng, dass er gar nicht beide Notenseiten voll ausleuchtet. Taugliche Pultleuchten sind bitte unbedingt waagerecht am Pult anzubringen, so dass sie ihr Licht senkrecht von oben auf die Noten werfen. Jedes Kippen der Leuchte in Richtung Noten birgt nämlich die Gefahr, das Gegenüber (oder das Publikum) unangenehm zu blenden. Diese wiederholt gemachte Beobachtung gab übrigens den Anstoß zu diesen Zeilen...

 

Klavierquartett – im Schummerlicht... (Otto Pippel, 1878-1960)
Klavierquartett – im Schummerlicht... (Otto Pippel, 1878-1960)

 

Noten... Sind alle Stimmen vorhanden? Wer schon mal im Antiquariat nach Noten gestöbert hat, kennt die Stapel von losen Einzelstimmen. Sie lassen mich jedesmal wehmütig an die um just diese Stimmen beraubten Kammermusiknoten denken. Deshalb: So sehr ich häusliches Üben und individuelle Vorbereitung schätze – Originalstimmen verleihe ich grundsätzlich nicht mehr, allenfalls Fotokopien.

 

Stichwort "Fotokopien"... Taugen sie, also: Sind sie ausreichend kontrastreich und füllen sie das Blatt optimal? Soll heißen: Sind sie groß genug kopiert oder umrahmt ein überflüssig breiter weißer Rand die Notenzeilen? In diesem Fall könnte die Größe der Noten beim Fotokopieren mit sorgfältig gewählter Vergrößerungseinstellung ("Zoom") optimiert werden. Falls es sich um auszudruckende pdfs handelt, lassen sich die Dateien mit Adobe Acrobat "zuschneiden"...

 

Taktzahlen... Manchmal wurden die Noten so fotokopiert, dass – aus Versehen, weil sie eben möglichst groß kopiert werden sollten – der linke Rand mit den Taktzahlen "abgeschnitten" wurde. Oder es handelt sich um ältere Noten-Ausgaben ganz ohne Taktzahlen oder "Ziffern" / Buchstaben. Ist es dann zumutbar, dass alle ihre Takte selbst auszählen und Taktzahlen eigenhändig in ihre Noten eintragen? Falls ja, erweist sich als hilfreich, allen Beteiligten als Orientierungshilfe die Taktzahlen einiger markanter Stellen mitzuteilen, als da wären: Fermaten / Generalpausen, Wiederholungszeichen, "a tempo" und ähnliche Angaben sowie die Gesamtzahl der Takte eines Satzes. Sollte es nämlich beim Auszählen der Takte zu einer Diskrepanz kommen, muss die erneute Taktzählung nicht von ganz vorn begonnen werden, sondern nur beim letzten Orientierungspunkt, bei dem sie noch mit der mitgeteilten Taktzahl übereinstimmte. Achtung: Auftakte werden nicht mitgezählt, Takt 1 ist der erste Volltakt. Und bei Wiederholungen zählen wir die Takte unter den beiden "Häusern" nur einmal: Der erste Takt im 2. Haus bekommt dieselbe Taktzahl wie der erste Takt im 1. Haus!

 

Weitere Hinweise zur optimalen Vorbereitung des Notenmaterials: Wurden die Noten doppelseitig kopiert, sind sie also umzublättern? Dann empfiehlt es sich, sofern es am Ende der Seiten Pausentakte und somit Zeit zum Umblättern gibt, die Blätter zu einem Heft zusammenzukleben. Gibt es am Ende einer Seite aber nicht ausreichend Pausentakte zum Umblättern, dann fotokopieren wir solche Seiten als sog. Schiebeblätter, die lose eingelegt bleiben und während mehrerer Pausentakte, über die ich – als Schiebeaufforderung – einen roten Pfeil nach links zeichne, von rechts nach links hinübergeschoben werden. Das Notenheft muss dann logischerweise so präpariert werden, dass die auf die Schiebeblattseite folgende Seite rechts liegt. Ideale Schiebeblätter sind übrigens sogar doppelseitig kopiert, so dass auf der Rückseite dieselben Noten stehen, wie auf der Seite selbst, beide Seiten also identisch sind. Dann ist es nämlich egal, wie das Notenheft später wieder aufgeschlagen wird: Immer zeigt die Schiebeblattseite die Noten (und nicht etwa eine leere Rückseite).

Wer seine fotokopierten Seiten einzeln lässt (also nicht zu einem Heft zusammenklebt), hat, sofern alle Seiten nur einseitig kopiert wurden, beliebig viele "Schiebeseiten". Hier sind dann aber mindestens Seitenzahlen wichtig! Gibt es (auch) doppelseitig kopierte, also umzublätternde Seiten, so besteht die Gefahr, diese beim Musizieren nicht als solche wahrzunehmen und sie – statt umzublättern – nach links zu verschieben. Spielt man dann auf der benachbart liegenden Seite weiter, wird man allen anderen um genau eine Seite voraus sein... Ein kleines "b. w.!" am Ende der Seite hilft.

 

2.1. Los geht’s...

Alles ist bestens vorbereitet und es kann losgehen? Hoffentlich sind alle pünktlich. "Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige"* – muss dazu noch mehr gesagt werden? Aber noch mehr zu hoffen ist, dass auch tatsächlich alle kommen, denn andernfalls... muss schnellstens Ersatzliteratur herbeigeschafft werden, also Kammermusik "minus one". Dieses Problem ist nicht neu, und so haben schon andere gute Vorschläge für solche "Notfälle" gesammelt – siehe Literaturhinweise, 1. Liste: "Was können wir aufs Pult legen?"

* "Exactitude est la politesse des rois" lt. König Louis XVIII. (1755–1824) im Jahre 1820

 

Weil das allzu leicht – im Eifer der eigenen Begeisterung – vergessen wird, sei es hier schon gesagt: Unbedingt sind Verschnaufpausen einzulegen, sie sind wichtig! Kurz lüften, etwas trinken, sich die Beine vertreten, frische Luft schnappen, ein Schwätzchen halten, denn ein bisschen Geselligkeit zwischendurch – neudeutsch: "socialising" – tut gut und dient ja auch der Gemeinschaftsbildung.

 

Stimmen... muss man. Am besten nacheinander, während ansonsten Ruhe herrscht. Auch Blasinstrumente lassen sich ohne Vibrato spielen – sehr zu empfehlen, gerade beim Stimmen. Da die Instrumente bei steigender Temperatur* ihre Stimmhöhe unterschiedlich ändern (Blasinstrumente nach oben, Streichinstrumente nach unten), empfiehlt es sich, nach etwa zehn Minuten nachzustimmen.

* http://www.sengpielaudio.com/Rechner-tonhoehenaenderung.htm

Wo ist das "a"? (George Goodwin Kilburne, 1839-1924)
Wo ist das "a"? (George Goodwin Kilburne, 1839-1924)

 

2.2. Endlich geht’s wirklich los

 

Sind alle Notenseiten richtig aufgeblättert? Oder: Ist klar, wo es nach der 1. Seite weitergeht?

Dann riskiere man einen Blick in die linke obere Ecke und mache sich klar, was da alles steht: Taktart, Tonart, Tempo- oder Satzbezeichnung. Ich bin dazu übergegangen, das einfach laut zu lesen, so dass alle es mitkriegen (müssen), etwa: "zwei Kreuze, alla breve, Allegro moderato." Sofort ist die Frage zu klären: "Zählen wir auf 2 oder auf 4?"

Auch schaue man, ob es Wiederholungen geben wird und vor allem, ob ein "da capo", womöglich "dal segno", verlangt wird, und wo dieses "segno" sich versteckt. Salonmusik-Noten stellen in dieser Hinsicht eine echte Herausforderung dar, und trotz exakt hinweisend-warnender Ansagen, wann wohin zurück- und später auch wieder vorgesprungen werden muss, geht irgendwer eigentlich immer irgendwo verloren... Fortgeschrittene Kammermusici merken sich die Stelle, wenn sie an einem Wiederholungszeichen vorbeikommen und wissen dann später, wohin sie zurückspringen müssen, um zu wiederholen. Meistens muss man aber ein bisschen warten, bis alle die Stelle für den Sprung zurück gefunden haben.

 

Können wir starten? Dann bitte: Luft holen! Das sage ich nicht nur für mich, weil ich als Flötist gar nicht anders starten kann, sondern auch für die streichende Zunft. Ohne zu atmen wird die Musik... kurzatmig? Jedenfalls schwingt sie nicht. Aber Vorsicht: Man vermeide schnelles, gar ruckartiges Einatmen. Besser ist, ganz ruhig Luft zu holen und das gewünschte Tempo mit einer entsprechenden Körperbewegung zu signalisieren. Wer sicher gehen will, zähle einen Takt vor (oder zwei).

 

"La lezione di musica" oder "Trio mit Katze" (Gaspare Traversi, 1722-1770)
"La lezione di musica" oder "Trio mit Katze" (Gaspare Traversi, 1722-1770)

 

Übrigens: Jeder Chor singt sich ein, bevor er richtig loslegt. Aber Instrumentalensembles...? Könnten wenigstens gemeinsam eine Tonleiter in der Tonart des aufgelegten Stückes intonieren, in bequemer Tonhöhe, erst aufwärts, dann auch abwärts – das hilft!

 

Und wer auch immer für die Auswahl der aufgelegten Stücke verantwortlich ist, achte doch darauf, als erstes ein Stück aufs Pult zu legen, das in seiner Struktur überschaubar und in seinen rhythmischen Anforderungen "machbar" ist. So können alle sich erst einmal warmspielen, ohne dass gleich nach wenigen Takten abgebrochen werden muss, weil sich jemand verheddert hat...

 

3.1. Unterwegs

Taktieren... Irgendjemand klopft immer mit dem Fuß, oder? Das ist gar nicht so leicht abzustellen, denn es scheint Sicherheit zu geben. Aber vielleicht kann das "Klopfen" ganz leise erfolgen? Oder sogar nur mit der Großzehe im Schuh, so dass niemand es sieht und es folglich niemanden stören kann. Ermutigt euch, einfach mal ganztaktig (oder gar zweitaktig) zu zählen.

 

Taktieren mit der Hand: Wer gerade ein paar Takte Pause hat, versucht vielleicht, den anderen mit einer Hand "dirigierend" zu helfen – aber Vorsicht, nicht alle empfinden solches Dirigat als hilfreich, viele fühlen sich eher gestört...

 

Schnaufen, und sei es im Takt, stört die anderen. Mehr muss dazu nicht gesagt werden, oder?

 

Rausfliegen... kann jedem passieren. Elegant wäre, dann das Instrument abzusetzen und eine Hand zu heben. Und da wir ja nicht nur in unsere Noten starren, sondern im Augenwinkel auch alle anderen wahrnehmen, werden wir die Unterbrechung schnell bemerken. Nicht ganz so elegant: Ich fange an zu sprechen. Deshalb gelte: Sowie jemand spricht, sollte das ein Signal für alle sein, abzubrechen. Gewiefte (routinierte?) Kammermusici merken sich die Stelle, wo – aus welchem Grund auch immer – gerade abgebrochen wurde, so dass wir – selbst bei Noten ohne Taktzahlen – wissen, wo wir wieder einsteigen können. Aber ob wirklich alle so geistesgegenwärtig sind?

Ganz blöd ist übrigens, wenn jemand abbricht und sagt: "Das war die Stelle, wo wir sonst immer rausgeflogen sind"...

Gesetzt den Fall, die Noten haben keine Taktzahlen aber "Ziffern". Soll dann bspw. im 13. Takt nach Buchstabe D wieder eingesetzt werden, dann sage man das genau andersherum an, also: "Wir starten nach Buchstabe D im Takt … Moment 1, 2, 3, …" (alle zählen ab Buchstabe D parallel leise! mit) "... im Takt 13".

 

     Einschub aus den »17 sachdienlichen Hinweisen*, gefunden im weltweiten Internet«:

"9. Bist du hoffnungslos raus, unterbrich das Spiel mit der Bemerkung Ich denke, wir sollten mal nachstimmen."

 

3.2. Gut zu wissen

calando von ital. calare = fallen lassen, sinken, bedeutet laut Gerigk, Fachwörterbuch der Musik* nachlassend an Tonstärke und Tempo, ruhiger werdend". Ob neben der Dynamik auch das Tempo nachlassen soll, muss wohl aus dem musikalischen Kontext erfasst (erfühlt) werden. Bei Mozart sei lediglich "leiser werdend" gemeint...*

* Badura-Skoda, Mozart-Interpretation 1957, S. 35 und Fußnote S. 53: Es sei aber nochmals darauf hingewiesen, daß das Wort "Calando" bei Mozart für gewöhnlich nur "leiser werdend" und nicht auch "langsamer werdend" bedeutet.

 

cresc. bedeute p. Das ist natürlich plakativ, aber es soll heißen: Fang leise an, damit eine Steigerung überhaupt möglich ist.

 

Fermaten: Vor einer Fermate lege man (jedenfalls meistens) ein dezentes ritardando ein.

 

Menuette stehen im 3/4-Takt, sind i. Allg. aber zweitaktig zu nehmen. Wer die Gelegenheit bekommt, lerne ein höfisches Menuett zu tanzen: Die Schrittfolge erstreckt sich über zwei 3/4-Takte.

 

Viertelpausen: Wer aus alten Drucken – speziell französischen – spielt, stolpert vielleicht über die verwirrenden Pausenzeichen: Die Achtelpause kennen wir, sie sieht aus wie eine 7. Aber bei der Viertelpause entsteht die Verwirrung: Sie sieht in den alten Drucken aus wie eine gespiegelte 7!

 

Ein Wiederholungszeichen bedeutet weder, dass man anhält und fragt "Sollen wir wiederholen?", noch, dass ein erlahmendes ritardando allen Musizierschwung ausbremst, sondern: dass wiederholt wird! Zumal jede Wiederholung doch eine zweite Chance bietet, alles (noch) besser zu machen.

Im Allgemeinen ist für den ersten Teil eines Satzes eine Wiederholung vorgeschrieben, und selbstverständlich beachten wir das. Am Ende des zweiten Teils steht womöglich aber kein Wiederholungszeichen... Dann verabreden wir oft, den zweiten Teil ebenfalls zu wiederholen, damit er (in unserem Übeprozess) nicht zu kurz kommt. Diese Wiederholung heißt bei uns "Gerechtigkeitswiederholung".

 

3.3. Durchkommen

Habe ich irgendwo gleichzeitig mit einer anderen Stimme einzusetzen (quasi ein punktuelles rhythmisches Unisono), so zeichne ich mir als Erinnerungs- und Aufmerksamkeitshilfe über die Stelle eine kleine Raute. Sie fordert mich künftig auf, nicht nur präzis zusammenzuspielen, sondern vielleicht auch, freundlich hinüberzuschauen.

 

Wer lange Pausen hat, muss viel zählen. Und kann währenddessen den anderen Stimmen lauschen und bemerken, dass es musikalische Phrasen gibt mit gewissen Zäsuren... Dementsprechend unterteile ich meine langen Pausen und notiere mir neben der Pausenzahl, die ich dann durchstreiche, die Phrasenlängen – also bspw. statt 15 steht dann da: 8 + 4 + 3.

 

Oft erkennt man aus dem Fluss der Musik ganz gut, wann man nach einer Pause wieder einzusetzen hat. Aber es gibt überraschende, unerwartete Einsätze. In dem Fall umkringele ich die Pausenzahl, was mir signalisiert: Hier musst du aufpassen, am besten genau zählen!

 

Nach dem Umblättern frage ich mich manchmal: Wieviele Takte muss ich jetzt warten, bis es für mich weitergeht? Deshalb notiere ich mir die Zahl der auf der Vorseite verbliebenen (und nun abzuwartenden) Pausentakte in der linke oberen Seitenecke. Kommen die Pausentakte aber nach dem Blättern, schreibe ich ein "P" in die untere rechte Ecke – als Hinweis, dass ich, weil Pausentakte folgen werden, in Ruhe umblättern kann. (Dort die Zahl der auf der nächsten Seite folgenden Pausentakte hinzuschreiben, hab ich mir wieder abgewöhnt, denn das hat wiederholt zu Verwirrung geführt – wenn ich dann nämlich diese Takte zu denen, die ich nach dem Umblättern vorfinde, irrtümlicherweise hinzugezählt habe.)

 

Hat eine Stimme durchlaufend kurze Noten zu spielen, sollten die anderen sich mit ihren längeren Notenwerten – damit alles fein beieinander bleibt – in diese durchlaufende Stimme "einhakeln".* Natürlich soll das Grundmetrum bestehen bleiben, aber wenn's nun mal zu schnell ist für die Stimme mit den kürzesten Notenwerten, geben die anderen halt ein wenig nach – und alles bleibt bestens im Fluss...

* Beispiel: Mozart, Klavierquartett KV 478, III. Satz Rondeau, Takte 111 bis 119 oder 161 bis 169

 

Geübt wird zuhause, bitte nicht zwischen den Stücken – da sei den Ohren (und den Nerven) Ruhe gegönnt!

 

Schwierige Stellen... müssen geübt werden, individuell, zuhause. Vielleicht auch gemeinsam, langsam. Aber wenn eine Stelle nun gar nicht gelingen will – darf ich sie mir vereinfachen? Ja, warum eigentlich nicht?

 

Manchmal will man sich gegenseitig helfen, indem man den anderen eine Stelle vorsingt. Das ist lieb (und kann wirklich helfen!), aber bitte: Vorher ansagen, wo, in welchem Takt, das Vorsingen startet. Denn dann kann ich die Hilfestellung nicht nur hörend, sondern auch mitlesend nachvollziehen und viel besser verstehen.

 4. Zum Schluss

Wie gestalten wir Schlüsse? Ein Unsitte: Der Schlusston bekommt – nach einem mächtigen ritardando – kräftig Nachdruck und wird auch noch deutlich verlängert. Aber man schaue doch bitte auf die Struktur des letzten Takts bzw. manchmal auch der letzten zwei oder gar vier Takte: Oftmals liegt der musikalische Schwerpunkt ganz ordentlich auf der Eins des Schlusstaktes, und die weiteren Noten (einschließlich der Schlussnote) sind nur wie leichter werdende Nachklänge zu spielen.*

* Ein Beispiel, wo der Schluss vielleicht sogar schon auf dem vorletzten Takt erreicht ist: Mozart, Quintett KV 614, III. Satz Menuett

 

Endet ein Stück mit einem leeren Takt, sollte der bitte auch beachtet werden. Gönnen wir der Musik, noch wenigstens einen Takt lang nachzuklingen...

Berlin, Pfingsten 2023

 

Gibt's weitere Tipps zur Erleichterung und Verbesserung gut gelingenden gemeinsamen Selber-Musizierens? Freue mich über entsprechende Mitteilungen an <knoch@posteo.de>.

 

 


Literatur:


Anregungen für Kammermusik-Literatur, also mögliche Antworten auf die Frage "Was können wir aufs Pult legen?"


    1. Altmann, Wilhelm, Handbuch für Klaviertriospieler, Verlag für musikalische Kultur und Wissenschaft 1934 – Wegweiser durch die Trios für Klavier, Violine und Violoncell
    2. Altmann, Wilhelm, Kammermusik-Katalog, Karl Merseburger 1931 – Ein Verzeichnis von seit 1841 veröffentlichten Kammermusikwerken
    3. Altmann, Wilhelm, Kleiner Führer durch die Streichquartette für Haus und Schule, Deutscher Musik-Literaturverlag 1950
    4. Funk, Vera, Klavierkammermusik mit Bläsern und Streichern in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Bärenreiter 1995
    5. Heimeran, Ernst & Aulich, Bruno, Das stillvergnügte Streichquartett, Heimeran Verlag 1956 / Bärenreiter 1987

sowie: Aulich & Heimeran, Coda zum stillvergnügten Streich-Quartett, Heimeran Verlag 1959/60
    6. Lemacher, Heinrich, Handbuch der Hausmusik, Verlag Anton Pustet, Graz - Salzburg - Wien 1948
    7. Lemacher, Schmidt, Almanach der Hausmusik, Musikverlag Hans Gerig, Köln 1958
    8. Mersmann, Hans, Die Kammermusik Bd. I bis IV, Breitkopf & Härtel 1933
    9. Saam, Josph, Zur Geschichte des Klavierquartetts bis in die Romantik, Valentin Koerner 1977
    10. Schmieder, Hans-Heinrich, Das wohltemperierte Klaviertrio, Atlantis 1984 – Ein Leitfaden für Freunde der Hausmusik mit Klavier
    11. Schmieder, Hans-Heinrich, Wohltemperierte Hausmusik, Atlantis 1996 – Neuentdeckungen für Freunde der Kammermusik mit Klavier und Generalregister von Duo bis Nonett
    12. Werner-Jensen, Arnold (Hrsg.), Reclams Kammermusikführer, Reclam 1990

Betrachtungen übers häusliche Kammermusizieren und Anregungen dazu:
    1. Aulich, Bruno, Alte Musik für Hausmusikanten, Heimeran Verlag 1968 – Aufführungspraxis
    2. Aulich, Bruno, Alte Musik recht verstanden – richtig gespielt, Heimeran Verlag 1957 – Aufführungspraxis
    3. Blum, David, Die Kunst des Quartettspiels, Bärenreiter 1988
    4. Bowen, Catherine D., Friends and Fiddlers, Dent & Sons, London    1936 – Chamber Music
    5. Fauth, Stéphane, Musizieren im Streichquartett, ACMP – Wege zu einem vertieften Zusammenspiel
    6. Ganzer, Kusche, Vierhändig, Heimeran Verlag 1954
    7. Mingotti, Antonio, Singe, wem Gesang gegeben, Heimeran Verlag 1955
    8. Schmitz, Hans-Peter, Singen und Spielen, Versuch einer allgemeinen Musizierkunde, Bärenreiter 1958
    9. Valentin, Erich, Musica domestica, Hohner Verlag 1959 – Von Geschichte und Wesen der Hausmusik
    10. Spranger, Eduard, Rede über die Hausmusik, Bärenreiter 1955

Weiteres:
    1. Rowley, Alec, Do's and Don'ts for Musicians, Ashdown – A Handbook for Teachers and Performers
    2. Schrammek, Bernhard, Die Musikwelt der Klassik, Bärenreiter 2011
    3. Taylor, Der wohltemperierte Zuhörer, Heimeran Verlag 1948 – Nützliche und ergötzliche Hinweise insbesondere für Hörer von Orchesterwerken auch am Radio

Kontakt – Wir freuen uns über

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c/o

Michael Knoch

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ACMP – The Chamber Music Network! 

ACMP bedeutet "Associated Chamber Music Players" und möchte – weltweit – Musikerinnen und Musiker aller Alters- und Fähigkeitsstufen zum gemeinsamen Kammermusizieren motivieren und ermutigen – aus Spaß an der Freude, siehe: www.acmp.net

Berliner Kammermusikliste (BKL) =

Adressenliste Berliner Kammermusiker –

in lockerer Assoziation mit dem ACMP

(siehe mittlere Spalte bzw. oben).

Die BKL bekommt zugemailt, wer sich auf ihr eintragen lässt. Bei Fragen bitte einfach fragen!

"ACMP" auf deutsch? Vielleicht:

„Adressdatei charmant-musizierender Personen“  ;-)